Sie liegt in ihrem Bett und starrt an die Decke. Ihre Kraft reicht nicht mehr aus, sich selbstständig aufzurichten, geschweige denn die Toilette aufzusuchen oder zu essen. Wenn die eigene Mutter plötzlich zum Pflegefall wird, ist das eine große Herausforderung. Man steht vor der Frage, sie ins Heim oder ins Hospiz zu geben oder aber Zuhause zu pflegen. Seniorenheime gibt es viele, doch die Plätze sind dort rar gesät – ebenso wie im Hospiz (es gibt Wartelisten) und zudem möchten viele Senioren ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen. Und da kommen die ambulanten Pflegedienste ins Spiel.
Weil es in Deutschland immer mehr pflegebedürftige Menschen, aber immer weniger Pflegekräfte gibt, empfiehlt die Bundesagentur für Arbeit vielen Arbeitslosen eine einjährige Umschulung zur Staatlich Anerkannten Pflege-Helferin. Doch anders, als man denkt, kann man damit – zumindest im ambulanten Pflegedienst – relativ wenig anfangen. „Die Pflege-Helferin darf nach ihrer einjährigen Ausbildung nicht mehr, als einer, der gar keine Ausbildung hat“, beklagt Günter Noa die strengen Vorschriften der Krankenkassenverbände. Die sind seiner Ansicht nach mitverantwortlich für den Pflegekräftemangel.
Der Mucher hat vor genau einem Jahr einen privaten Pflegedienst gegründet und kann sich vor Anfragen kaum noch retten. Doch mehr, als die aktuellen 20 Klienten kann er mit seinen derzeit sieben Beschäftigten nicht betreuen. Nach der einjährigen Ausbildung dürfen die Pflegerinnen nämlich laut Noa die Klienten zwar waschen, anziehen und ihnen Essen reichen, beim Anti-Thrombose-Strümpfe anziehen hört ihre rechtliche Kompetenz aber schon auf. In der stationären Pflege, wo die Mitarbeiter nicht allein mit den Patienten sind, sind die Vorgaben nicht so streng. Eine vollständige ambulante Pflege dürfen nur Pflegekräfte mit einer dreijährigen Ausbildung übernehmen. „Davon gibt es einfach nicht genug“, erzählt Noa mit Blick auf seine diversen Zeitungsanzeigen, auf die er nicht eine einzige Bewerbung erhielt.
Noa spürt nach eigener Aussage derzeit auch den starken Druck, der dadurch ausgelöst wurde, dass der Caritas-Verband Rhein-Sieg in Much vier Kündigungen von Pflegeverträgen ausgesprochen hat. Dörte Staub, die Pressesprecherin des Verbandes, bestätigt dies, sagt jedoch, dass es sich dabei um „begründete Einzelfälle“ gehandelt habe. Diese hätten nichts mit einem „Pflegenotstand“ zu tun, allerdings könne der Kundenstamm aller Caritas-Pflegestationen deutlich ausgebaut werden, wenn mehr Personal zur Verfügung stünde. Gut ausgebildete Pflegekräfte seien rar. „Um eine qualifizierte Pflege gewährleisten zu können, müssen wir deshalb die Zahl der Patientinnen und Patienten der jeweiligen Teamgröße anpassen“, erklärt Staudt. Dies beträfe nicht nur Much, sondern alle neun ambulanten Caritas-Pflege-Einrichtungen im Rhein-Sieg-Kreis. In Much arbeiten sieben examinierte Altenpflege-Kräfte und drei Pflegehelferinnen, dazu drei Alltagsbegleiterinnen. Auch die Stelle der Pflegedienstleiterin ist derzeit nur mit einer Interims-Stelle besetzt. „Wir erleben in allen Regionen des Rhein-Sieg-Kreises, dass wir mehr Anfragen haben als wir leisten können“, so der Vorstand des Caritasverbands Harald Klippel.
Die DRK-Pflegedienste Rhein-Sieg/Rhein-Berg gGmbH, die die nächste Pflegestation in Neunkirchen-Seelscheid betreibt, hat sich daher etwas einfallen lassen. Neben eigenen Ausbildungen, die auch die Caritas durchführt, beschäftigt das Rote Kreuz seit 2013 Mitarbeiter aus dem EU-Ausland. Dabei unterstützt sie die jungen Leute bei der Wohnungssuche, beim Deutschunterricht und bei der Anerkennung, allerdings vergehen dabei oft viele Monate, wie Geschäftsführer Reinhold Feistl beklagt. „Hilfreich wäre es, wenn die Anerkennungsverfahren entbürokratisiert werden könnten, so dass neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schneller in den Sozialstationen eingesetzt werden könnten“, sagt er.
Alle Organisationen leiden zudem am schlechten Ruf des Berufs. „Wir kennen keine Sonn- und Feiertage und haben Arbeitszeiten von morgens um sechs bis abends um neun“, sagt Noa. Allerdings verteilt sich das wie in jedem anderen Job auf eine 39-Stunden-Woche. Und manch einer schätzt auch die Vorzüge der ambulanten Pflege. „Es ist so ein schöner Beruf. Ich bin extra aus der Krankenpflege weg, weil man die Menschen dort nie kennen gelernt hat. In der Altenpflege kann man Menschen manchmal über viele Jahre hinweg begleiten“, sagt Caritas-Praxisleiterin Tina Kolbenberg.